DEBATTE
10. September 2021
Fragen an Intendant:innen und Theater-Leitungsteams aus dem Band „Theater und Macht
Die Antworten in den Fragebögen aus dem Sammelband „Theater und Macht – Beobachtungen am Übergang“, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und nachtkritik.de, erlauben einen Einblick in die Arbeitsweisen und Strukturen unterschiedlich aufgestellter Theater – und in die alltägliche Herausforderung, die ihre Leitung darstellt. Sechs der zehn befragten Intendant:innen leiten ein Haus, das Mitglied im Deutschen Bühnenverein ist. An dieser Stelle dokumentieren wir die Antworten von Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters Hamburg, Dieter Ripberger und Peer Mia Ripberger, Intendanten des Zimmertheaters Tübingen, sowie von Julia Wissert, Intendantin des Schauspiels Dortmund.
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Isabella Vértes-Schütter
Intendantin des Ernst Deutsch Theaters Hamburg
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Mein Führungsstil ist kooperativ, die Mitgestaltung aller Mitarbeitenden ist mir wichtig. Wesentlich für das Miteinander ist eine klare, von allen verbindlich akzeptierte Struktur und Kommunikation. Die Mitarbeitenden sind in die Entscheidungsprozesse eingebunden und handeln in ihrem Aufgabenfeld weitestgehend eigenverantwortlich. Die Ziele werden gemeinsam definiert und sind für alle transparent, die Prozesse werden kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt.
Dazu gehört eine positive Fehlerkultur, die es allen ermöglicht, selbstbewusst darüber zu sprechen, was gut oder nicht gut gelaufen ist. Eine große Rolle spielt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.
Wie gestalten Sie an Ihrem Haus Veränderung?
Für Veränderungen versuche ich mit Geschäftsführung und Betriebsrat einen gemeinsamen Prozess aufzusetzen, der die Expertise und Ideen aller Mitarbeitenden integriert. Hierfür nutzen wir gerne das Format des moderierten Workshops. Wir haben dabei sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die gesamte Belegschaft einzuladen. Aber auch bei Fragestellungen, die einzelne Abteilungen betreffen, hat sich das Workshop-Format bewährt. Sehr hilfreich finde ich außerdem,
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Isabella Vértes-Schütter
Intendantin des Ernst Deutsch Theaters Hamburg
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Mein Führungsstil ist kooperativ, die Mitgestaltung aller Mitarbeitenden ist mir wichtig. Wesentlich für das Miteinander ist eine klare, von allen verbindlich akzeptierte Struktur und Kommunikation. Die Mitarbeitenden sind in die Entscheidungsprozesse eingebunden und handeln in ihrem Aufgabenfeld weitestgehend eigenverantwortlich. Die Ziele werden gemeinsam definiert und sind für alle transparent, die Prozesse werden kontinuierlich evaluiert und weiterentwickelt.
Dazu gehört eine positive Fehlerkultur, die es allen ermöglicht, selbstbewusst darüber zu sprechen, was gut oder nicht gut gelaufen ist. Eine große Rolle spielt die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.
Wie gestalten Sie an Ihrem Haus Veränderung?
Für Veränderungen versuche ich mit Geschäftsführung und Betriebsrat einen gemeinsamen Prozess aufzusetzen, der die Expertise und Ideen aller Mitarbeitenden integriert. Hierfür nutzen wir gerne das Format des moderierten Workshops. Wir haben dabei sehr gute Erfahrungen damit gemacht, die gesamte Belegschaft einzuladen. Aber auch bei Fragestellungen, die einzelne Abteilungen betreffen, hat sich das Workshop-Format bewährt. Sehr hilfreich finde ich außerdem, zu unterschiedlichen Themen Expert*innen von außen einzuladen, die mit dem Team zusammenarbeiten.
Was sind die Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen den vier zentralen Bereichen eines Theaters – Kunst, Technik, Verwaltung und Kommunikation – und wie begegnen Sie ihnen?
In den verschiedenen Bereichen des Theaters kommen Menschen mit sehr unterschiedlichen Biografien und Erfahrungen zusammen. Die Motivationen der einzelnen sind sehr unterschiedlich und die Perspektiven, aus denen sie die Theaterarbeit wahrnehmen, können sehr verschieden sein. Jeder Blickwinkel hat seine Berechtigung und nur ein gutes Zusammenspiel aller Kräfte führt zu einem guten kreativen Prozess. Hierfür ist es wichtig, dass alle Bereiche mit Respekt und Verständnis für die jeweils anderen Perspektiven miteinander umgehen, kein Bereich sollte den anderen dominieren. Wir versuchen, die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Bereichen zu stärken und gut zu organisieren. Je mehr die Bereiche voneinander wissen und sich über die Abläufe austauschen, desto besser kann die Arbeit ineinandergreifen. Am Theater ist jeder auf jeden angewiesen und jeder verdient die größtmögliche Wertschätzung.
In den letzten Jahren werden Fälle von Machtmissbrauch an Theatern verstärkt diskutiert. Sind sie Zeichen einer strukturellen Schieflage?
Das Ausmaß an Grenzverletzungen verbaler, psychischer, körperlicher und sexualisierter Art, das in den letzten Jahren öffentlich geworden ist, ist erschreckend. Die Strukturen müssen sich hier grundlegend verändern, denn grenzüberschreitendes Verhalten ist an Theatern weiterhin präsent. Es ist gut, dass es seit 2018 die überbetriebliche Vertrauensstelle Themis gibt, die mit an einem Kulturwandel arbeitet. Die Unsicherheit im Umgang mit Grenzverletzungen im Kulturbetrieb ist groß, es bestehen Ängste, sich zu wehren, als „schwierig“ stigmatisiert zu werden, und viele befürchten Nachteile für ihre berufliche Zukunft. Deshalb braucht es flächendeckend Sensibilisierungs- und Präventionsmaßnahmen. Am Ernst Deutsch Theater sind wir mit der Teilnahme am Projekt [in:szene] und dem Vorgängerprogramm „Orte der Vielfalt“ mit externen Berater*innen aus der machtkritischen Bildungsarbeit in einen intensiven Prozess der Bestandsanalyse und Sensibilisierung eingestiegen. Die Arbeit am Selbstverständnis des Hauses in Bezug auf Diversität, Diskriminierung und Rassismus sehen wir als Chance, nachhaltige Veränderungen zu realisieren. Wir haben einen Runden Tisch zum Thema „Vielfalt“ etabliert, bei dem alle Bereiche des Theaters regelmäßig im Austausch sind, Fort- und Weiterbildung wird kontinuierlich angeboten.
Gibt es an Ihrem Haus einen Kodex für den Umgang miteinander? Wie stellen Sie sicher, dass (diese) Regeln befolgt werden?
Ein Kodex für den Umgang miteinander ist noch nicht erarbeitet worden. Bislang gibt es ein Leitbild, das veröffentlicht ist: „Als Theater sind wir ein Forum für gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Mit unserem Programm laden wir unser Publikum dazu ein, über den Theaterbesuch hinaus aktuelle Diskussionen zu reflektieren und weiter zu entwickeln. Wir sind eine Bühne für Nachwuchskünstler*innen und schaffen dadurch Zukunftsimpulse. Wir setzen uns für eine bunte Gesellschaft, freie Kunst und freies Denken ein. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die durch rechte Ideologien in ihrem Tun und Sein eingeschränkt werden. Wir beziehen Stellung gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Wir stehen für Toleranz, Vielfalt und Respekt.“
Wo ist in Ihrer Institution ‚der Sitz der Macht‘? Und wer sitzt dort?
Die Gesamtverantwortung für die Geschicke des Ernst Deutsch Theaters trägt die Geschäftsführung, aber die Macht sind wir alle! Das Bild zeigt einen Großteil des Ernst-Deutsch-Theater-Teams, Anlass war die Spielzeiteröffnung 19/20, die unter dem Motto „Vielfalt“ stand.
Wie sieht Ihre digitale Strategie aus? Verändert sie die Strukturen im Haus?
Wir haben 2016 eine digitale Agenda aufgelegt, die zunächst die interne Kommunikation in den Blick genommen hat. Es wurde sichergestellt, dass in allen Abteilungen PC-Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und alle wichtigen betriebsinternen Informationen im Intranet aktuell und lückenlos weitergegeben werden können. Inzwischen sind auch die Arbeitsplätze im Home-Office angeschlossen. Strukturell ist deutlich geworden, dass die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten allen Mitarbeitenden mehr Teilhabe an den Gestaltungsprozessen ermöglichen. Im Bühnenbereich stellen die einzelnen Abteilungen Stück für Stück auf digitale Übertragungswege und Netzwerke um, die sich zukünftig auch verknüpfen lassen. In der Tontechnik wird ein Dante Netzwerk aufgebaut, das ermöglicht, Quellen-, Steuer- und Abspielgeräte an jedem Anschlusspunkt im Haus aufzubauen und zu vernetzen. Für die Videotechnik wird die Übertragung über Netzwerkprotokolle ausgebaut. Strukturell führen die Veränderungen in den bühnenbetriebstechnischen Abteilungen zu einer erhöhten Flexibilität. Bestehende Kabelwege können parallel genutzt werden und Aufbaumöglichkeiten sind variabler und schneller veränderbar bei gleichzeitig höherer Qualität. Mit der Schließung der Theater aufgrund der Corona-Pandemie haben wir begonnen, eine Digitale Bühne zu gestalten. Hierfür wurden zunächst Investitionen getätigt, um eine qualitativ hochwertige Streaming-Qualität anbieten zu können. Das Programmangebot des Theaters ist seit Monaten (Stand März 2021) ausschließlich digital, die Kommunikation mit dem Publikum läuft über die Homepage und die sozialen Medien sowie unterschiedliche Streaming-Plattformen. Es ist noch zu früh, um zu bewerten, was für strukturelle Veränderungen sich für die Zukunft des Theaters daraus entwickeln werden.
Wie viel Demokratie verträgt der Theaterbetrieb?
Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, die wir verteidigen und verbessern wollen. Wenn wir unsere Theater als Orte in der Gesellschaft begreifen, die im gesellschaftlichen Diskurs über unser Zusammenleben eine wichtige Rolle spielen, ist das nur glaubwürdig, wenn die Strukturen im Theaterbetrieb demokratisch sind. Alle Probleme, die wir in der Gesellschaft haben, haben wir auch in der Theaterlandschaft. Es gibt strukturellen Rassismus, frauenfeindliche Strukturen und soziale Ausgrenzungen, und um diese Themen müssen wir uns kümmern. Tatsächlich gibt es im Theaterbetrieb heute noch viel Despotismus, es gibt immer noch den Mythos „Demokratie hat in der Kunst nichts zu suchen“. Dieser Mythos, künstlerische Prozesse seien nicht demokratisch, hält sich hartnäckig und dem müssen wir vehement entgegentreten.
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Dieter Ripberger und Peer Mia Ripberger
Intendanten des Zimmertheaters Tübingen
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Für unsere Arbeit haben wir ein Ideal formuliert, dem wir uns immer weiter zu nähern versuchen – in dem Wissen, dass wir es nie ganz erreichen werden. Dieses Ideal lässt sich wahrscheinlich am besten mit dem Begriff „post-genial“ zusammenfassen. Wir legen ihn sämtlichen Bereichen des Theaters zugrunde: Sei es in den künstlerischen Produktionen, den Kommunikationsvorgängen nach außen wie nach innen, der Kulturvermittlung – und vor allem in der Führung des Hauses. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Auf den Führungsstil bezogen bedeutet er: Ich halte mich nicht für so genial, dass ich immer die beste Lösung für alles habe, im Gegenteil. In unserer Lesart steht er außerdem für die Notwendigkeit von größtmöglicher Transparenz, Dialogbereitschaft, wechselseitigen Feedbackprozessen und Fehlerkultur auf allen Ebenen. Das setzt einen ehrlichen, achtsamen, verständnisvollen und empathischen Umgang miteinander voraus. Daraus folgt wiederum die Eigenverantwortlichkeit und das Selbstvertrauen der Kolleg*innen.
Wie gestalten Sie an Ihrem Haus Veränderung?
Wenn man Veränderung als potentiell bedrohlich beschreibt, ist sie es auch. Veränderung ist unser Programm – und eine Haltungsfrage, dadurch nutzen wir alle ihre Potentiale positiv. Wir betreiben die strukturelle Abschaffung des Normalfalls, womit nicht gemeint ist, dass Routinen, Abläufe und Prozesse passé sind. Gerade im Gegenteil: Um dauerhaft auf Veränderung und Innovation eingestellt zu sein, braucht es ein Höchstmaß an Strukturen, die diese
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Dieter Ripberger und Peer Mia Ripberger
Intendanten des Zimmertheaters Tübingen
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Für unsere Arbeit haben wir ein Ideal formuliert, dem wir uns immer weiter zu nähern versuchen – in dem Wissen, dass wir es nie ganz erreichen werden. Dieses Ideal lässt sich wahrscheinlich am besten mit dem Begriff „post-genial“ zusammenfassen. Wir legen ihn sämtlichen Bereichen des Theaters zugrunde: Sei es in den künstlerischen Produktionen, den Kommunikationsvorgängen nach außen wie nach innen, der Kulturvermittlung – und vor allem in der Führung des Hauses. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Auf den Führungsstil bezogen bedeutet er: Ich halte mich nicht für so genial, dass ich immer die beste Lösung für alles habe, im Gegenteil. In unserer Lesart steht er außerdem für die Notwendigkeit von größtmöglicher Transparenz, Dialogbereitschaft, wechselseitigen Feedbackprozessen und Fehlerkultur auf allen Ebenen. Das setzt einen ehrlichen, achtsamen, verständnisvollen und empathischen Umgang miteinander voraus. Daraus folgt wiederum die Eigenverantwortlichkeit und das Selbstvertrauen der Kolleg*innen.
Wie gestalten Sie an Ihrem Haus Veränderung?
Wenn man Veränderung als potentiell bedrohlich beschreibt, ist sie es auch. Veränderung ist unser Programm – und eine Haltungsfrage, dadurch nutzen wir alle ihre Potentiale positiv. Wir betreiben die strukturelle Abschaffung des Normalfalls, womit nicht gemeint ist, dass Routinen, Abläufe und Prozesse passé sind. Gerade im Gegenteil: Um dauerhaft auf Veränderung und Innovation eingestellt zu sein, braucht es ein Höchstmaß an Strukturen, die diese Offenheit rahmen. Nur im intensiven Dialog, durch interne Aushandlung in regelmäßigen Vollversammlungen, Gremien und Arbeitsgruppen, aber auch durch öffentliche Aushandlung wird Veränderung im Dialog mit allen Akteur*innen gestaltbar. Ganz konkret wird das auch in unserer Programmatik lebendig, die den Diskurs in und mit der Öffentlichkeit in laufenden künstlerischen Produktionsprozessen als zentrale Säule des künstlerischen Programms begreift.
Was sind die Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen den vier zentralen Bereichen eines Theaters – Kunst, Technik, Verwaltung und Kommunikation – und wie begegnen Sie ihnen?
Erwartungen, Notwendigkeiten und Bedarfe unterscheiden sich hier natürlicherweise – der Theaterorganismus lebt in ständigen Zielkonflikten. Es geht daher immer darum, Kompromisse zu finden, bzw. das Theater als Aushandlungsort zu betrachten. Hier hilft das Prinzip der Post-Genialität und gelebter, respektvoller Umgang mit allen Mitarbeitenden. Dazu gehört die Fähigkeit zum Perspektivwechsel, zur Antizipation, zum Interesse an den Arbeitsfeldern der Kolleg*innen. So können Nähe und Zugewandtheit entstehen, die die Grundlage für Flexibilität und Kompromisse schaffen. Höchste Professionalität, Standardisierung des Standardisierbaren und klare Struktur von Kommunikations- und Arbeitsabläufen sind Basis für die Bewältigung von Unvorhersehbarkeiten und Krisen. Unser Anspruch ist, dass wir diese Disziplin vorleben, und dies mit Freundlichkeit und Fehlertoleranz verbinden.
In den letzten Jahren werden Fälle von Machtmissbrauch an Theatern verstärkt diskutiert. Sind sie Zeichen einer strukturellen Schieflage?
Ja und nein. Es wäre völlig verkürzt, diese Vorfälle als menschliche Einzelabgründe zu beschreiben. Aus ihnen jedoch die notwenige Abschaffung von Leitungspositionen zu folgern, wäre ebenso verkürzt. Die Frage sollte sein: Wie lassen sich Machtgefüge so strukturieren, dass die Gelegenheit zu und die systemische Toleranz von Missbrauch nicht gegeben sind? Hier steht eine tiefgreifende Umstrukturierung des landläufigen Theaterverständnisses an: Weg vom Personenkult um pseudo-geniale Individuen. Ganz deutlich: Machtmissbrauch ist nicht zu tolerieren. Auch zeitgemäße Führung und Formen der geteilten Leitungsaufgaben, z.B. in Direktorien, basieren auf Macht – da muss man sich nichts vormachen. Den Missbrauch deutlich zu markieren und Checks and Balances im Betrieb zu etablieren, ist daher eine notwendige, aber nicht hinreichende Strategie. Standard sollte künftig sein, dass Leitungen – in welcher Form auch immer – ihre Führungskompetenz durch Erwerb entsprechender Zertifikate und die Bereitschaft zu Supervision und Weiterbildung nachweisen und schulen. Dass dies bislang zu wenig der Fall und für Besetzungsverfahren ein nachrangiges Kriterium zu sein scheint, ist Mitauslöser der Misere. Die Schieflage lässt sich aber so allein noch nicht bewältigen: Einhergehend mit der post-genialen Leitung müssen auch das Selbstverständnis der Ensembles, der Gewerke und der Stakeholder in Bewegung geraten. Mehr Dialog und Teilhabe bedeuten mehr Verantwortung, mehr Teamfähigkeit und weniger Genie und Eitelkeit bis weit ins künstlerische Schaffen und die Programmatik hinein.
Gibt es an Ihrem Haus einen Kodex für den Umgang miteinander? Wie stellen Sie sicher, dass (diese) Regeln befolgt werden?
Es gilt bei uns der Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins. Darüberhinaus hat sich eine Arbeitsgruppe gegründet, die diesen Kodex permanent auf die Besonderheiten des Zimmertheaters überprüft und ggf. verändert. Die Ergebnisse werden dann in der Vollversammlung diskutiert. Ansonsten gilt die Maxime: Verhalte dich so, dass auch der / die Kolleg*in nach dir die Kaffeemaschine so vorfindet, dass der Milch- und Wassertank gefüllt sind und die Tropfschale geleert ist.
Wo ist in Ihrer Institution ‘der Sitz der Macht’? Und wer sitzt dort?
Das Foto entstand am Ende unserer ersten Spielzeit. Es war die letzte Woche vor der Sommerpause. Wir haben besprochen, wer sich in der Aufräumwoche worum kümmert: Drei Tage lang haben wir gemeinschaftlich unser Theater gehegt und gepflegt, die Gästezimmer und Bühnen überprüft, die Gemeinschaftsküchen inventarisiert. Der eine Co-Intendant sitzt, hört zu und denkt; der andere Co-Intendant kniet und schreibt auf. Dem Dramaturgen fällt ein: „Wir müssen die neuen Matratzen in den renovierten Gästezimmern einmal pro Spielzeit wenden, damit die möglichst lange halten.“ (Und entwickelt hurtig und gut schwäbisch ein System für das systematisch dokumentierte Quer- und Längsdrehen in den acht Gästezimmern.)
Wie sieht Ihre digitale Strategie aus? Verändert sie die Strukturen am Haus?
Wir integrieren die Potentiale der Digitalität ins Analoge. Wenn wir mit VR arbeiten, dann beispielsweise so, dass das Publikum leiblich kopräsent im szenografisch gestalteten Raum ist und eine VR-Brille aufhat. Die Isolation resp. den Transfer von Theater ins rein Digitale beobachten wir mit Neugierde und einer gehörigen Portion Skepsis.
Wie viel Demokratie verträgt der Theaterbetrieb?
Wir wollen uns ja nicht gleich zu einem Staat erklären… Da sich jedes Theater – jedenfalls im deutschsprachigen Raum – in einem demokratisch organisierten Staat befindet: Viel! Nach wie vor ist es so, dass weite Teile der Bevölkerung die öffentliche Förderung von Kultureinrichtungen befürworten, selbst wenn sie die Angebote gar nicht wahrnehmen. Insofern ist die Staatsform Demokratie gut für die Kultur. Wir sollten aber an den langsam verwitternden Fundamenten dieses Rechtfertigungskonsens‘ arbeiten und nach Dialog- und Anschlussfähigkeit unserer künstlerischen Arbeit für möglichst weite Teile des gesellschaftlichen Selbstverständigungsgesprächs streben. Das heißt nicht Marktgängigkeit – aber das heißt: raus aus der Selbstzufriedenheit. Und das erreichen wir nur durch ein durch und durch post-geniales Theaterverständnis. Für die Mitbestimmung innerhalb des Hauses als „System miteinander kommunizierender Röhren“ kann es funktionierende Wege schaffen, ohne dass der künstlerische Anspruch auf der Strecke bleibt. In unseren Stückentwicklungsprozessen und den damit einhergehenden wöchentlichen Diskursveranstaltungen entstehen die einzelnen Produktionen und der Spielplan als Ganzes im Dialog mit allen Beteiligten und der Öffentlichkeit – ganz organisch.
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Julia Wissert
Schauspiel Dortmund
Die Antworten auf die Fragen sollten vor dem Hintergrund gelesen werden, dass nach der Intendanzeröffnung am Schauspiel Dortmund der zweite Lockdown im November stattfand. Seitdem war das Schauspiel nicht mehr für analoges Publikum geöffnet. Größere innerbetriebliche Veranstaltungen wurden auch untersagt. Wir haben angefangen ohne einen richtigen Anfang. Viele der Fragen sind Fragen die wir selbst noch miteinander aushandeln müssen/wollen/dürfen.
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Am Anfang des jetzigen Schauspiel-Ensembles standen reihenweise Vorsprechen, für die wir uns jeweils mindestens eine Stunde Zeit genommen haben, um mit den Menschen ein Gespräch zu führen über ihre Erwartungen an einen Neustart und wie sie ihre Aufgabe in einem Ensemble der Zukunft sehen würden. Wir hatten alle eine Sehnsucht nach einem Ort, an dem wir gerne arbeiten wollen, der gleichzeitig versucht, nachhaltige Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen zu finden, die uns vielleicht zuvor davon abgehalten haben, fest an einem Theater zu arbeiten. So hat sich eine Gruppe von Menschen gefunden, die sich in unterschiedlichen Graden mitverantwortlich für die Gestaltung der Arbeitsprozesse und künstlerischen Produkte fühlt. Wir entwickeln schrittweise Formen der Mitbestimmung und Einflussnahme. Wir versuchen, Prozesse transparenter zu gestalten und Verantwortung auf verschiedene Schultern zu verteilen. Meine Aufgabe als diejenige, die innerhalb der Struktur die machtvollste Position hat, verstehe ich als sinnvolle Nutzung dieser Macht, um die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für meine Kolleg:innen herzustellen. Ich bin, sehr klassisch, die Intendantin. Wir haben uns für dieses Modell bewusst entschieden, weil wir wissen, dass wir gesellschaftlich nicht die gleichen Privilegien haben. Ich habe strukturell die mächtigste Position im Haus, meine Kolleg:innen haben jedoch (mehrheitlich) die gesellschaftliche Macht in ihre Körper eingeschrieben.
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Julia Wissert
Intendantin des Schauspiels Dortmund
Die Antworten auf die Fragen sollten vor dem Hintergrund gelesen werden, dass nach der Intendanzeröffnung am Schauspiel Dortmund der zweite Lockdown im November stattfand. Seitdem war das Schauspiel nicht mehr für analoges Publikum geöffnet. Größere innerbetriebliche Veranstaltungen wurden auch untersagt. Wir haben angefangen ohne einen richtigen Anfang. Viele der Fragen sind Fragen die wir selbst noch miteinander aushandeln müssen/wollen/dürfen.
Wie führen Sie Ihr Haus? Beschreiben Sie kurz Ihren Führungsstil und die Werte, die ihm zugrunde liegen.
Am Anfang des jetzigen Schauspiel-Ensembles standen reihenweise Vorsprechen, für die wir uns jeweils mindestens eine Stunde Zeit genommen haben, um mit den Menschen ein Gespräch zu führen über ihre Erwartungen an einen Neustart und wie sie ihre Aufgabe in einem Ensemble der Zukunft sehen würden. Wir hatten alle eine Sehnsucht nach einem Ort, an dem wir gerne arbeiten wollen, der gleichzeitig versucht, nachhaltige Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen zu finden, die uns vielleicht zuvor davon abgehalten haben, fest an einem Theater zu arbeiten. So hat sich eine Gruppe von Menschen gefunden, die sich in unterschiedlichen Graden mitverantwortlich für die Gestaltung der Arbeitsprozesse und künstlerischen Produkte fühlt. Wir entwickeln schrittweise Formen der Mitbestimmung und Einflussnahme. Wir versuchen, Prozesse transparenter zu gestalten und Verantwortung auf verschiedene Schultern zu verteilen. Meine Aufgabe als diejenige, die innerhalb der Struktur die machtvollste Position hat, verstehe ich als sinnvolle Nutzung dieser Macht, um die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für meine Kolleg:innen herzustellen. Ich bin, sehr klassisch, die Intendantin. Wir haben uns für dieses Modell bewusst entschieden, weil wir wissen, dass wir gesellschaftlich nicht die gleichen Privilegien haben. Ich habe strukturell die mächtigste Position im Haus, meine Kolleg:innen haben jedoch (mehrheitlich) die gesellschaftliche Macht in ihre Körper eingeschrieben. Mit dieser intersektionalen Herausforderung versuchen wir, einen strukturellen Umgang zu finden. Wir finden Entscheidungen im Gespräch miteinander, mit den Kolleg:innen. Trotzdem gibt es manchmal den Moment, in dem ich die unangenehme Aufgabe habe, eine Entscheidung durchzusetzen, wider die Empfehlungen von Abteilungsleitenden oder den Wünschen des Ensembles. Wir suchen Möglichkeiten, wie es anders funktionieren kann, und sind noch lange nicht da, wo wir als Team sein wollen. In einem Jahr werden wir weiter sein und wissen mehr darüber, wie es nicht funktioniert. Dann fangen wir von vorne an.
Wie gestalten Sie an Ihrem Haus Veränderung?
Die Frage von Transformation war eine der Grundsäulen der Intendanz- Bewerbung. So haben wir uns von Anfang an Unterstützung durch eine Organisationsentwicklung geholt. Hierbei haben wir eine Agentur gesucht, die sowohl die Anforderungen und Arbeitswirklichkeiten der Kolleg:innen der Technik kennt, als auch offen ist für die Frage danach, wie eine utopische Organisation entwickelt werden kann. Es war uns wichtig, externe Partner für einen langfristigen Transformationsprozess zu haben, da wir Teil des Hauses und somit der zu verändernden Organisation sind. Damit dieser Prozess nachhaltig ist, haben wir uns kleinere Etappen gesetzt. Der erste gemeinsame Anfang wird eine Open Space Konferenz sein. In diesem Raum soll allen Mitarbeitenden die Möglichkeit gegeben werden, die Herausforderungen, die sie beobachten und erleben, in kollegialen Runden zu formulieren. Unser Wunsch war es von Anfang an, einen gemeinsamen Prozess zu schaffen, selbst wenn wir nicht alle dieselben Dinge als Probleme sehen.
Was sind die Herausforderungen in der Zusammenarbeit zwischen den vier zentralen Bereichen eines Theaters – Kunst, Technik, Verwaltung und Kommunikation – und wie begegnen Sie ihnen?
6000 Zeichen reichen nicht aus, um das alles aufzuschreiben. Wenn ich es versuchen müsste, kurz, würde ich sagen, dass eine der grundlegenden Herausforderungen in der ungleichen Vertragsstruktur liegt. Die Kolleg:innen der vier Arbeitsbereiche haben sehr unterschiedliche Arbeitnehmer:innen-Rechte, was Konsequenzen im alltäglichen Miteinander hat. Arbeitszeit wird verschieden vergütet. Verantwortungen sind auch durch Gewerkschaften scheinbar klar geklärt, zumindest für manche. Das führt zu einer Disbalance. Die künstlerischen Entwicklungen, die wir gerade erleben, bedeuten auch eine Verschiebung in der Frage der Verantwortlichkeiten. Wer ist für Streaming verantwortlich, die Videoabteilung oder die Technik? Was gilt als Produktion, wenn Spielende Stückverträge haben? Welche Abteilung ist für die Kommunikation zuständig, Marketing, Presse, Social Media? Für diese Herausforderungen müssen neue Strukturen und Prozesse entwickelt werden. Um das zu entwickeln, braucht es aber eine gemeinsame Sprache und ein echtes „Wir“. Wie können wir ein „Wir“ sein, wenn nicht alle arbeitsrechtlich gleichgestellt sind? Die derzeitige Situation macht das alte Arbeiten in Abteilungen hinfällig, da alle Abteilungen gemeinsam an einem Projekt arbeiten müssen. Das ist (noch) nicht gelernt. Um ein solches Arbeiten zu ermöglichen, braucht es klare Regeln, damit jede Person im Team weiß, was ihre Verantwortung ist. Diese neuen Regeln gibt es (noch) nicht. Unsere These jedoch, Theatermachen ist ein nie abgeschlossener Prozess von und mit Menschen mit verschiedensten Expertisen jedoch gleichwertiger Verantwortung. Also eigentlich das, was während jeder Vorstellung passiert: Klare Regeln, alle zusammen, aber alle denken und gestalten an der Vorstellung mit.
In den letzten Jahren werden Fälle von Machtmissbrauch an Theatern verstärkt diskutiert. Sind sie Zeichen einer strukturellen Schieflage?
Mit Sicherheit.
Gibt es an Ihrem Haus einen Kodex für den Umgang miteinander? Wie stellen Sie sicher, dass (diese) Regeln befolgt werden?
Wir sind mitten in dem Prozess, ein Leitbild zu entwickeln. Die Frage nach der Sicherstellung, dass die Regeln umgesetzt werden, ist eines der größten Streitthemen. Wir sagen gerne Bescheid, wenn wir ein fertiges Leitbild haben.
Wo ist in Ihrer Institution ‘der Sitz der Macht’? Und wer sitzt dort?
Siehe Foto.
Wie sieht Ihre digitale Strategie aus? Verändert sie die Strukturen am Haus?
Wir sind mitten in der Entwicklung einer digitalen Strategie für das Theater Dortmund. Um die derzeitige Entwicklung zwischen Theater und Digitalität auch nachhaltig weiter zu entwickeln, haben wir uns entschlossen, auch nach Corona digitale/hybride Produktionen am Haus entwickeln zu lassen. Uns interessiert daran die Frage, wie wir mit digitalen Mitteln Formen entwickeln können, die den Dialog mit Bürger:innen der Stadt weiterbringen und Fragen des Menschsein ins Zentrum rücken.
Wie viel Demokratie verträgt der Theaterbetrieb?
Von welchem Demokratiebegriff gehen Sie aus, wenn Sie diese Frage stellen? Bevor es mehr Demokratie in den Theatern geben kann, muss vorher einmal klargestellt werden, dass es keine Demokratie in den Theatern gibt. Dass nicht alle Personen im Theater gleich sind und dass die Frage von Macht nicht (nur) an der Position, sondern auch an dem Körper hängt, mit dem mensch sich in den Institutionen bewegt. Wenn wir dann sagen, stimmt – wir müssen uns erstmal einigen, dass wir Theater in einer begrenzt demokratischen Gesellschaft sind, was bedeutet, dass wir bestimmte Ausschlusskriterien reproduzieren, ohne dass wir das wissen, dagegen müssen wir gezielt anarbeiten, dann würde ich auch sagen: Es braucht viel, viel mehr Demokratie.
Alle Fragebögen sind bei nachtkritik.de hier nachzulesen.
Sie sind erschienen im Band „Theater und Macht – Beobachtungen am Übergang“, herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de in Zusammenarbeit mit Weltuebergang.net unter redaktioneller Leitung von Sophie Diesselhorst, Christiane Hütter, Elena Philipp und Christian Römer. Berlin 2021.
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