DEBATTE
27. Mai 2021
Der Weg entstand im Gehen
Reformvorhaben im Deutschen Bühnenverein – Versuch eines Rückblicks von Ulrich Khuon, Bühnenvereinspräsident bis November 2020, und dem Geschäftsführendem Direktor Marc Grandmontagne
Text erschienen in der Festschrift „Struktur und Ereignis – Ein Arbeitsbuch zur Situation des Theaters der Gegenwart zum 175-jährigen Bestehen des Deutschen Bühnenvereins”, 27. Mai 2021
Vorbemerkung
Im Januar 2017 übernahm Marc Grandmontagne das Amt des Geschäftsführenden Direktors im Deutschen Bühnenverein, das sein Vorgänger Rolf Bolwin 25 Jahre lang innehatte. Wenige Tage später wählte eine außerordentliche Jahreshauptversammlung der Mitglieder Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters Berlin, zum neuen Präsidenten. Diese außerplanmäßige Wahl war erforderlich, weil die erst 2015 zur Präsidentin gewählte damalige Hamburger Kultursenatorin erkrankte und im Oktober 2016 überraschend verstarb – was für die ganze Szene von Kulturpolitik und Theater ein Schock war. So stand mit den beiden Autoren dieses Textes 2017 ein neues Führungsduo der Spitze vor vielen Aufgaben in- und außerhalb des Verbands. Die Präsidentschaft von Ulrich Khuon endete am 21. November 2020, die Amtszeit von Marc Grandmontagne wird am 31. Dezember 2021 beendet sein.
Das ist eine vergleichsweise kurze Zeit angesichts der Verweildauer mancher unserer Vorgänger in diesen Ämtern. Ein Rückblick auf Basis dieser knappen Zeitspanne mag durchaus als Wagnis erscheinen. Und doch offenbart die Rückschau auf die letzten Jahre eine rasante und verdichtete Entwicklung, die von einer enormen Themenfülle geprägt war. Denn der Bühnenverein und die in ihm verbundenen Theater und Orchester sind keine Insel. Obgleich viele Debatten eine theaterspezifische Ausprägung und Tonalität haben, spiegeln sie am Ende doch das wider, was auch in der Gesamtgesellschaft an Konflikten und Debatten herrscht. Der Bühnenverein spielt als Arbeitgeber- und Interessenverband der Theater und Orchester in Deutschland eine wichtige, allerdings nicht unkomplizierte Rolle in diesen Auseinandersetzungen. Im Laufe seiner mittlerweile 175 Jahre hat er mit seinen verschiedenen Rollen immer versucht, Arbeitgeber- mit Arbeitnehmerinteressen zu versöhnen, als Brückenbauer zwischen Politik und Kunst gleichermaßen zu agieren wie auch die in seiner eigenen Mitgliedschaft vertretenen diversen Interessen und Meinungen zu bündeln und mit einer Stimme zu sprechen. Dies vorausgeschickt, möchten wir auf den folgenden Seiten einen subjektiv gefärbten Blick auf die Entwicklungen der letzten Jahre und die von uns angestoßenen Maßnahmen geben. In unserer Zusammenarbeit, von der wir zu Beginn des Jahres 2017 weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht vermuten konnten, dass sie derart intensiv werden würde, haben wir uns stets als Doppelspitze mit verschiedenen Rollen verstanden. Daher ist es aus unserer Sicht auch konsequent, dass wir diesen Rückblick gemeinsam formulieren.
Der Beginn – Ansprechbar sein!
Wenn jemand neu in ein Amt kommt, ist das Anlass zu vielen Hoffnungen und Erwartungen. Das galt in unserem Falle sogar doppelt: Der jüngere Geschäftsführende Direktor, der von außen in den Bühnenverein gewählt wurde, und der erfahrene Intendant und Bühnenvereinskenner, der von innen kam. Durch die Kombination dieser eher gegensätzlichen Profile erhoffte sich der Bühnenverein die rechte Balance aus Stabilität und Erneuerung. An Wünschen und Erwartungen mangelte es also nicht, sowohl in Bezug auf die Verbandsarbeit als auch auf das Agieren des Verbands in Politik und Öffentlichkeit.
Zunächst wurde schnell deutlich, dass die Mitglieder gehört werden wollten und Änderungen wünschten. Fragen der Kommunikation, der Repräsentation, aber auch der Teilhabe stellten sich. Schon damals gab es die Zukunfts-AG, die seit 2016 Änderungsvorschläge für die Verbandsarbeit im Bühnenverein erarbeitete. So ging es zunächst darum, die Jahreshauptversammlung zu einer Plattform des stärkeren thematischen und persönlichen Austauschs zu machen und den Mitgliedern bei der Herangehensweise an die vielfältigen Herausforderungen des Theatermachens hilfreiche inhaltliche Impulse zu geben. Workshops, Dialoge und die Einladung von externen Expert:innen zu Themen wie Geschlechtergerechtigkeit oder Digitalität gehörten dazu, ebenso von Keynotespeaker:innen zu Beginn der Hauptversammlung zu relevanten Themen. So haben wir in den letzten Jahren etwa den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen, die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler von der Universität Dresden oder den Soziologen Armin Nassehi aus München zu Gast gehabt.
Neben diesen ersten kleinen Änderungen, die für die Mitgliedschaft aber einen hohen Stellenwert besitzen, drängten sich im Innern auch Fragen der grundsätzlichen Ausrichtung, des Serviceangebots und der Governance in den Vordergrund: Was sollte und soll der Verband jenseits der Arbeitgeberrolle leisten? Welche Themen soll er anpacken und wie kommunizieren? Wie kann das Weiterbildungsangebot verbessert werden? Wie soll das Zusammenwirken mit den acht Landesverbänden gestaltet werden? Und wie soll die innere Organisation so weiterentwickelt werden, dass sie den Anforderungen an die heutige Zeit Rechnung trägt? Auf der Jahreshauptversammlung 2017 wurde beschlossen, dass eine repräsentative Arbeitsgruppe aus dem Bühnenverein die Überarbeitung der Vereinssatzung in Angriff nehmen sollte. Spätestens jetzt wurde deutlich, dass der Verband seine Rolle und seinen Platz (neu) verortet. Das hatte zunächst und am stärksten wahrnehmbar auf die Kommunikation durch den Präsidenten und den Vorstand Einfluss: Wir wollten den Bühnenverein öffnen und mehr und anders kommunizieren. Nach innen wie nach außen. Wir wollten ansprechbar sein und suchten die Kommunikation mit den Mitgliedern. Auch weil wir der Meinung waren und sind, dass nur so ein Weg gefunden werden kann, der erstens ein Gefühl dafür entwickelt, was den Mitgliedern wichtig ist und was sie brauchen, und dass zweitens auch nur so der notwendige Rückhalt bei Veränderungen entsteht. Die Strukturen, das Wissen und die Kompetenz unserer Mitglieder wollten wir abrufen und gleichzeitig vermitteln, dass die Mitglieder Einfluss auf das Handeln des Verbands haben.
Gesellschaftliche Veränderungen und ihr Einfluss auf die Theaterwelt
Die Frage der inneren Verfasstheit kann auch beim Deutschen Bühnenverein nur durch den Blick auf die Anforderungen nach außen angemessen beantwortet werden. Als Arbeitgeber- und Interessenverband der Theater und Orchester sind einige Kernaufgaben dabei natürlich definiert, die nicht zur Disposition stehen. Das betrifft vornehmlich die Arbeitgeberfunktion: Als Sozialpartner der Künstlergewerkschaften ist der Bühnenverein für die Aushandlung, den Abschluss und die Durchsetzung von Tarifverträgen vor allem bei den rund 140 öffentlichen Theatern in Deutschland zuständig. Auch gehören die Rechtsberatung der Mitglieder, die Weiterbildung in tarif- und urheberrechtlichen Fragen sowie die Mitarbeit in den Versorgungseinrichtungen für Künstler:innen (Versorgungsanstalt der deutschen Kulturorchester und Versorgungsanstalt der deutschen Bühnen) zum „Kernrepertoire“.
Allerdings, und hier wird es nun deutlich komplizierter, agiert auch der Arbeitgeberverband mit den Gewerkschaften nicht im luftleeren Raum, sondern in einem gesellschaftlich-politischen Umfeld, das in den letzten Jahren gehörig erschüttert wurde. Seit der Formulierung des Normalvertrags Bühne Anfang der 2000er Jahre kristallisierten sich kontroverse Erfahrungen mit dem Tarifvertrag heraus: Einerseits ermöglichte der NV Bühne gestalterische Spielräume im Namen der Kunst, andererseits manifestierten sich soziale Schieflagen innerhalb der Häuser und Gehaltsgefälle, die immer weniger akzeptabel schienen. Das führte bereits seit Jahren im und außerhalb des Bühnenvereins zu großen Diskussionen. 2013 wurde dann die Initiative art but fair gegründet, die für faire Künstlergagen eintrat, 2016 folgte das ensemblenetzwerk, das lautstark Kritik an den Arbeits- und Vergütungsbedingungen am Theater übte. Das mediale Interesse wuchs schnell, die Zustimmung aus der Szene bewies, dass ein Nerv getroffen war. Offenbar hatte sich im Laufe der Jahre eine gehörige Frustration aufgebaut, die sich nun den Weg nach draußen suchte. Der Bühnenverein wurde Ziel von heftiger Kritik – aber dadurch auch in die Pflicht genommen. Es gründeten sich im weiteren Verlauf übrigens zahlreiche weitere Initiativen (unter anderem regie-netzwerk, dramaturgie-netzwerk), die jeweils für ihre eigene Berufsgruppe Interessenvertretung übernahmen und in die öffentliche Diskussion eintraten. Der Bühnenverein reagierte 2017 schnell, die Mindestgage im Normalvertrag Bühne wurde zum 1. April 2018 bundesweit von 1.850 auf 2.000 Euro brutto angehoben und ein Schwangerenschutz installiert. Den Weg dorthin hatte sicher auch die Einführung des Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz zum 1. Januar 2015 bereitet.
Der Fall veranschaulicht einige lehrreiche Dinge: Die Gründung vieler eigener Interessenvertretungen, in denen sich unsere Branche engagiert, legt den Verdacht nahe, dass Frustrationen über Jahre aufgebaut wurden. Diese mit den bereits vorhandenen Akteuren (ergo den Sozialpartnern) zu überwinden, wird offenbar nicht als Erfolg versprechend eingestuft. Stattdessen werden neue, eigene Organisationen gegründet. Zwar ist der Bühnenverein selbstverständlich keine Arbeitnehmer*innenvertretung. Gleichwohl wird ihm aber aufgrund seiner politischen Mitglieder hier eine entscheidende Rolle unterstellt. Das geschieht auch nicht zu Unrecht, denn im Gegensatz zu privaten Arbeitgeberverbänden vertreten wir Einrichtungen, die zumeist öffentlich getragen oder doch zumindest öffentlich (mit-)finanziert sind. Als integraler Bestandteil der Daseinsvorsorge erfüllen Theater und Konzerthäuser eine essentielle Rolle in der freien Gesellschaft, als Orte der Reflexion, der ästhetischen Auseinandersetzung und der sozialen Interaktion. Ihr Zweck liegt darin, dass diese Orte eben gerade keinen (vorgefertigten) Zweck haben und dass das, was sie produzieren, ephemer ist und einen gewissen Überschuss erzeugt. Genau darin liegt aber ihre (öffentliche!) Bedeutung, denn damit werden Räume des menschlichen Seins eröffnet, die es sonst nicht gibt. Dass gesellschaftlich relevante Themen und Missstände auf der Bühne verhandelt werden, ist Ausdruck einer Verantwortung, die eben mit der Finanzierung durch die Allgemeinheit und angesichts der öffentlichen Funktion einhergeht. Aus dieser Verantwortung baut sich aber ein moralischer Druck auf, der auf die Theater selbst zurückwirkt und in den letzten Jahren zunehmend auch von der Bühne hinter die Bühne gewandert ist. Dadurch werden Fragen gestellt, die auch den Deutschen Bühnenverein beschäftigt haben und weiterhin beschäftigen müssen.
Die Diskussionen um die Arbeits- und Vergütungsbedingungen gingen weiter und erhielten im November 2017 einen Impuls von außen, der zu weit reichenden Veränderungen führte: Mit der Verhaftung des amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein formierte sich die #Metoo- Bewegung, die in vielen, gerade auch künstlerischen Bereichen ein System der finanziellen Abhängigkeit, der sexuellen Ausnutzung und des Machtmissbrauchs anprangerte. Zunächst nur auf den Film, aber die Frage lag nahe, ob auch das Theater betroffen sein könnte. Wissen darüber gab es so gut wie nicht, hier wurde etwas angetastet, was nicht sichtbar war. Anfang des Jahres 2018 beriefen wir eine Adhoc-Arbeitsgruppe im Deutschen Bühnenverein ein, die sich im Deutschen Theater in Berlin traf. Ganz grundsätzlich erwiesen sich diese Adhoc-Arbeitsgruppen in den letzten Jahren in ihrer Schnelligkeit und Wendigkeit als ein sehr geeignetes Instrument neben den regulären Gremien, um im Bedarfsfall die Mitglieder bei der Bearbeitung auftretender Herausforderungen einbinden und beteiligen zu können. Als Folge sind sie in der überarbeiteten Fassung der Bühnenvereinssatzung explizit vorgesehen.
Aber zurück zur Adhoc-Arbeitsgruppe #Metoo: An dem mehrheitlich von weiblichen Vertreterinnen wahrgenommenen Treffen wurden drei Kernforderungen formuliert: Es sollte erstens ein Instrument entwickelt werden, mit dem das Thema in den Theatern und Orchestern vor Ort angesprochen und bearbeitet werden könnte – ein Wertegebundener Verhaltenskodex. Zweitens sollte eine unabhängige Vertrauensstelle für Betroffene an Theatern und in Orchestern geschaffen werden. Und drittens – der Bühnenverein bestand zu vier Fünfteln aus Männern – sollte beschlossen werden, dass der Vorsitz aller Gremien im Bühnenverein geschlechterparitätisch besetzt werden müsse. Es wurde sofort eine Redaktionsgruppe gebildet, die einen Entwurf für einen Verhaltenskodex entwerfen sollte. Unterstützung kam von der Deutschen Gesellschaft für Personalwesen (DGP). Der Entwurf wurde gemeinsam mit dem Ausschuss für künstlerische Fragen erarbeitet und zur Diskussion in verschiedene Gremien eingebracht, wo er kontrovers beurteilt und weiterentwickelt wurde. Gleichzeitig rief die Beauftragte der Bundeskanzlerin für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters, einen Runden Tisch der Film- und Theaterbranche ein, an dem sie finanzielle Unterstützung für die Gründung einer unabhängigen Vertrauensstelle gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt in Aussicht stellte. Der Trägerverein wurde im Mai 2018 vom Deutschen Bühnenverein und vielen Verbänden aus dem Filmbereich unterzeichnet und erhielt den Namen Themis (nach der gleichnamigen griechischen Göttin der Gerechtigkeit). Die Themis-Vertrauensstelle nahm am 1. Oktober 2018 ihre Arbeit auf.
Im Juni 2018 verabschiedete die Jahreshauptversammlung des Bühnenvereins nach teils heftigen Diskussionen, aber ohne Gegenstimme, den Wertegebundenen Verhaltenskodex und beschloss die geschlechterparitätische Besetzung des Vorsitzes aller Gruppen und Organe. Auch das interne Weiterbildungsangebot sollte ausgebaut werden. Der Wertegebundene Verhaltenskodex wird seit seiner Verabschiedung regelmäßig in den Häusern und im Deutschen Bühnenverein thematisiert und behandelt. Er prägt in vielen Bereichen die tägliche Arbeit in den Häusern und vor Ort und hat kollektiv viel zur Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung beigetragen. Daraus entstand der Konsens, dass diese Sensibilisierung durch weitere praktische Schritte (Workshops, Weiterbildungsmaßnahmen und anderes mehr) in den Häusern weitergetragen und vertieft werden muss. Das externe Interesse an diesem Instrument und unseren Erfahrungen war und ist sehr groß und zeigt, wie wichtig auch die weitere Bearbeitung dieses Themas ist. Diese nur rasterartig skizzierte Entwicklung anhand von zwei äußeren Impulsen unterschlägt allerdings die Dimension dessen, was im Innern des Verbands passierte.
Die Gründung des ensemble-netzwerks (links: Fotoaktion endgame) führte zu einem Umdenken im Bühnenverein – vor allem im Hinblick auf die Vielfalt (oben: Fotoaktion zum CSD des Staatstheater Stuttgart).
Die Gründung von Initiativen wie des ensemble-netzwerks hatten selbstverständlich nicht nur tarifliche Auswirkungen, sondern führten auch zu neuen Formen des Handelns im und namens des Bühnenvereins. Die Intendant:innengruppe suchte gemeinsam mit dem Präsidenten und dem Vorstand den Dialog mit dem ensemble-netzwerk – was anfangs zu sehr schwierigen Gesprächen zwischen Vertreter*innen beider Seiten führte, die sich allerdings bis heute fortsetzen. Es kam zu gegenseitigen Einladungen, teils wurde direkt kommuniziert, teils über die Medien gespielt. Die Suche nach einem Dialog und das stete Bemühen, auch über Tiefpunkte hinweg, hat maßgeblich zur Entspannung und zum gegenseitigen Verständnis beigetragen. Und die Diskussionen in den Gremien und in der Intendant:innengruppe haben auch Auswirkungen auf die Arbeit des Tarifausschusses, der (mit dem formalen Status eines Verbandsorgans) verbindliche Beschlüsse in Tariffragen herbeiführen kann.
Im Falle der #Metoo-Debatte kommt erschwerend hinzu, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema oft aus psychischen Impulsen heraus von sich geschoben wird. Das ist menschlich und normal, die Beschäftigung mit den Gefährdungen der eigenen Spezies ist wahrlich kein Vergnügen. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Formulierung und Diskussion gezeigt hat, dass manche Kolleg:innen das Papier nicht sofort als Hilfe, sondern teils als Generalverdächtigung auffassten. Der Weg über viele Diskussionen und Sitzungen hat entscheidend zur Legitimierung und zum Verständnis des Kodex beigetragen und hat uns allen geholfen, sensibler, klarer und artikulationsfähig an die Sache zu gehen – eine wesentliche Voraussetzung, um diese Vorgänge aus der Unsichtbarkeit ans Licht zu holen.
Beide Vorgänge bedingten auch eine neue Offensivität in der Kommunikation und im Handeln nach außen. Der Bühnenverein wurde jahrelang, auch von den Medien, als intransparent und irgendwie geheimnisvoll skizziert, Verdächtigungen über Hinterzimmer-Verabredungen und Misstrauen gegenüber unserem Handeln waren an der Tagesordnung. Das macht es nicht leicht, das notwendige Vertrauen zu gewinnen. Deshalb waren auch Dialog und Partnerschaft nach außen oberstes Gebot. Die manifesten Probleme sind am Ende – so unsere Überzeugung – nur gemeinsam zu lösen. Es wurde und wird viel mit Presse und Medien gesprochen, wir haben die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden wie dem Bund der Freien Darstellenden Künste, dem Bund der Szenographen, dem Deutschen Kulturrat, der Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche (ASSITEJ), der Deutsche Theatertechnische Gesellschaft (DTHG), dem Dachverband Tanz und vielen anderen intensiviert, haben uns an Aktionen und Aufrufen beteiligt, die Mitgliederkommunikation und die Social-Media-Aktivitäten verstärkt und den Bühnenverein geöffnet.
Im Ergebnis ist zumindest festzustellen, dass die Ressentiments gegenüber dem Bühnenverein – zumindest nach unserer Wahrnehmung – doch deutlich zurückgegangen sind und dass die Akteure im System der Darstellenden Künste enger zusammengerückt sind. Vielleicht auch, weil wir insgesamt vor Herausforderungen stehen, die vermutlich nur gemeinsam zu lösen sind. Zu diesen gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen gehört auch, dass sich der Raum des politisch Sagbaren deutlich nach rechts verschoben hat und der Nationalradikalismus erschreckende Zuwachsraten verzeichnet. Spätestens mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten ist vielen klargeworden, wie weit die Entwicklung schon fortgeschritten ist. Auch und insbesondere die Theater spüren das deutlich, seit die sogenannte Alternative für Deutschland erhebliche Wahlerfolge erzielen konnte. Angriffe, politische Agitation und Einschüchterungen gegenüber Künstler:innen und Theatermacher:innen häuften sich in den letzten Jahren – hier war der Bühnenverein sowohl im Hinblick auf seine Mitgliedschaft, als auch die Gesamtgesellschaft gefordert.
Auch weitere Themen wie der Fachkräftemangel im technischen und administrativen Bereich, Debatten um Führungsqualitäten, Machtstrukturen, Diversität und Anti-Rassismus sowie Nachhaltigkeit und Klimaschutz beschäftigen uns im Innern wie nach außen. Sie sind noch lange nicht zu Ende, aber der Anfang ist gemacht. Nicht zu vergessen der Deutsche Theaterpreis DER FAUST, der seit 2006 vom Deutschen Bühnenverein, der Kulturstiftung der Länder und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste als Preis der Länder vergeben wird: Er wird jedes Jahr neu gemeinsam mit dem ausrichtenden Bundesland und der ausrichtenden Stadt sowie dem ausrichtenden Theater finanziert und organisiert. Solange es diesen Preis gibt, solange wird er inner- und außerhalb des Bühnenvereins diskutiert, gelobt und kritisiert. 2020 hat er aus bekannten Gründen nur digital stattfinden können, und aktuell wird gemeinsam mit allen Partner:innen an einem Restart mit weiterentwickelten Kategorien gearbeitet. Auch hier gilt: Nach dem Preis ist vor dem Preis. Einmal im Jahr das in den Mittelpunkt zu stellen, was uns antreibt, nämlich die Künstler:innen und die Künste, ist das Mindeste, was wir tun können!
Corona – Die Zäsur
Und dann kam das Virus: Im März 2020 fand der erste Lockdown statt, bei dem auch alle Kulturstätten geschlossen wurden. Was man sich nie und nimmer hätte vorstellen können, trat plötzlich ein: Das öffentliche Leben stand weltweit (!) still. Mitten in der Spielzeit mussten die Produktionen abgebrochen werden, die Häuser geschlossen und die Mitarbeiter:innen nach Hause geschickt werden.Verträge wurden beendet, Kartenverkäufe rückgängig gemacht, Spielpläne verloren an Geltung – und es setzte Ratlosigkeit, teils auch Verzweiflung und Wut ein. Es kam zum rasenden Stillstand, die neue Situation musste bewältigt werden, rechtliche Fragen geklärt werden, und mit der Kurzarbeit im öffentlichen Dienst wurde Neuland betreten. Gleichzeitig sagten wir auch alle Gremien- und Ausschusssitzungen ab, der Computer wurde zum Tor in die Welt, während alle nur noch zuhause saßen.
Corona ist eine bittere Pille, die bereits angelegte Schwächen unerbittlich offenbart. Das Virus strapaziert eine freie und bis zum Ausbruch der Pandemie hypermobile Gesellschaft, die plötzlich zum Stillstand gezwungen war. So mussten Telefon und Computer kommunikativ kompensieren, was normalerweise in einer außerordentlichen Notlage wie dieser stattgefunden hätte: eine beratschlagende Versammlung unter Anwesenden. Neue Formen der Kommunikation mussten her, um die Lage zu bewältigen. Nach einer kurzen Phase der Öffnung und Hoffnung ging es dann im November 2020 wieder in die Schließung, die bis zum Verfassen dieser Zeilen anhält. Mittlerweile haben wir sogar eine digitale Jahreshauptversammlung und eine Präsidentenverabschiedung über den Bildschirm über die Bühne gebracht. Es war und ist herausfordernd, für die Mitglieder da zu sein, der Ausstoß an Rundschreiben hat im Jahr 2020 mit 240 Aussendungen bis dato nie erreichte Spitzenwerte angenommen, und die Tage bestehen aus stundenlangen Telefonaten und Videokonferenzen.
Und doch erweist sich gerade jetzt der Verband als funktionsfähig: Der Sitzungsrhythmus hat sich geändert, kürzer und öfter lautet die Devise, die Digitalität macht es leichter möglich, auch nur kurz teilzunehmen (statt gar nicht), Diskussionsveranstaltungen und Weiterbildungen finden mittlerweile auch digital statt. Die Kommunikation in die Politik ist an vielen Stellen direkter, persönlicher und zugewandter geworden, Minister:innen konferieren direkt mit den Häusern eines Bundeslands, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien bindet bei der Verteilung der Neustarthilfen die Verbände ein, es entstehen Allianzen mit anderen Kulturakteuren, ja sogar mit dem Profisport und dem Deutschen Hotel- und Gaststättengewerbe. Ohne Rücksicht auf Rollen und Funktionen bilden sich Gruppen, die Brainstorming für die Zeit nach Corona betreiben und dazu offen einladen. Die Theater und Orchester suchen nach digitalen Wegen, handlungsfähig zu bleiben und es bilden sich Solidaritätsaktionen mit anderen, denen es schlechter geht.
Zum Schluss
Die Satzungs-AG hat die Arbeiten zur Überarbeitung unserer Vereinssatzung im Januar 2021 erfolgreich beendet. In der neuen Version steht übrigens nicht nur eine Regelung zur geschlechtergerechten Besetzung, sondern auch zur digitalen Arbeitsweise und Beschlussfassung der Gremien (ohne persönliche Anwesenheit). Die Mitglieder der AG haben nicht nur am Satzungstext gearbeitet, sondern sich in knapp vierjähriger Diskussion auch besser kennengelernt und den Bühnenverein weiterentwickelt, weil sie ihn von allen Seiten beleuchtet haben. Die zahlreichen Diskussionen und Informationen über den Stand der Satzungs-AG boten allen Mitgliedern Gelegenheit, sich einzubringen. Sie fanden immer im Lichte der jeweiligen thematischen Auseinandersetzungen statt. Und sie boten Gelegenheit, über das Profil und die Ausrichtung des Bühnenvereins zu sprechen und ihn dabei mitzugestalten. Jetzt muss die Hauptversammlung das Dokument nur noch annehmen.
So waren die letzten viereinhalb Jahre ein gemeinsamer Weg, der im Gehen entstanden ist. Wir haben versucht, Impulse zu setzen und alle dabei mitzunehmen. Wir haben versucht, zugewandt, offen, verlässlich und sachlich im Namen des Bühnenvereins nach außen zu handeln und dabei unser Möglichstes für die Theater und Orchester zu tun. Wir haben versucht, den Weg zu ebnen, damit der Bühnenverein gestärkt und kräftig in die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre gehen kann. Sie werden sicher nicht leicht werden in einer Zeit, in der schwierige Gerechtigkeitsdiskurse geführt werden. Viele der behandelten Themen werden auch die nächsten Jahre eine Rolle spielen und das ist gut so – sie müssen weiter vorangetrieben werden. Wenn sich der Bühnenverein auf seine Stärken besinnt, wird er auch diese Aufgaben meistern.